Feldforschung mal anders

Prof. Dr. Klaus Siewert erforschte die Geheimsprache der Viehhändler.

Prof. Dr. Klaus Siewert
Sprachwissenschaftler

Bekannt ist Klaus vor allem in Münster, seit er gemeinsam mit Studenten die alte Sprache der „Gauner und Ganoven“ in der Westfalen-Metropole erforscht hat. Genannt wird diese Sondersprache „Masematte“, die vielleicht dem Einen oder Anderen durch Begriffe wie „Heiermann“ oder „meschugge“ bekannt ist.

Sie wurde in einigen Stadtteilen von Münster gesprochen und ihre Sprecher zählten vorwiegend zur sozialen Unterschicht. Einige Begriffe dieser Sondersprache gelten heute als kultig und werden teils noch verwendet.

Ob es also immer Gauner und Ganoven waren, die „Masematte“ sprachen, lassen wir hier mal unbeantwortet. Genauso wie Münsters Bezeichnung als Metropole.

In unserem Fall erklärt Klaus vielmehr die Geheimsprache der Viehhändler. Und die sind hoffentlich keine Ganoven. Allerdings muss man sich fragen, warum diese denn überhaupt in einer Geheimsprache miteinander kommunizierten. Es gehe in erster Linie um den Ausschluss Dritter, etwa bei Verkaufsverhandlungen auf den Viehmärkten, wie uns Klaus erklärte. Also, die Anderen dürfen ruhig alles essen, aber noch lange nicht alles wissen.

Aber was ist denn eine Geheimsprache überhaupt? Reine Agentensache?

Weit gefehlt. In Deutschland und Europa existieren mehr Geheimsprachen als der Normalbürger für möglich hält. Münsters „Masematte“ ist nur eine davon – die Sprache der Viehhändler eine andere. Als unverständliche Rede kennt man vielleicht den Begriff „Kauderwelsch“, der versucht diese Sondersprachen – wissenschaftlich nicht korrekt – zusammenzufassen.

Geheimsprachen sind keine Dialekte oder Mundarten. Meistens besteht eine Geheimsprache aus der normalen regionalen Sprache, die durch die Einflechtung von Wörtern aus fremden Sprachen so verändert wird, dass sie nun nicht mehr ohne Weiteres zu verstehen ist.

Solche Begriffe stammen nicht selten aus dem Hebräischen bzw. Jiddischen, wie etwa die besonders beim Viehhandel wichtigen Zahlen: olf, bees, kimmel, dollar, hei statt eins, zwei, drei … Manche solcher Verdunkelungswörter werden im Laufe der Zeit allgemeinverständlich. So kennt man den Begriff für Arbeit, die „Maloche“, oder auch das bereits erwähnte „meschugge“, das jemanden bezeichnet, der  nicht ganz normal ist.

Zur Geheimhaltung trugen auch Vokabeln der Sinti und Roma bei, die man früher auch als Zigeuner bezeichnete. Juden, Sinti und Roma haben also großen Anteil am Bau solcher Geheimsprachen, die mitunter zu Unrecht als Gaunersprachen bezeichnet werden – wenngleich sie auch in grenzgängerischen Milieus an der Grenze von Recht und Unrecht gesprochen worden sind, wie etwa in Hamburg auf St. Pauli der Nachtjargon.

Solche Sondersprachen sind heute vom Untergang bedroht. Gründe dafür sind etwa der Niedergang des Viehhandels und die Verfolgungen der Nazis. Das Wissen um solche Randgruppensprachen wieder hervorzuholen und zu dokumentieren, hatte sich Klaus schon vor 30 Jahren mit seinen Studenten als Aufgabe gesetzt, die heute weithin erfüllt ist. Als Retter des Vokabulars und des Verständnisses der Kulturen dahinter könnte man ihn bezeichnen.

Und wie geht das?

Indem man die Menschen sucht, die dieses alte Wissen noch haben. Überlebende quasi. Die Arbeit beginnt meist mit Aufrufen in Form von Anzeigen in Zeitungen und in neuerer Zeit mit Hilfe des Internets. Was dann folgt sind Kontaktaufnahmen und Gespräche, die man mit Sorgfalt und vor allem viel Respekt führen sollte. Wer Informationen über das alte Wissen sammeln möchte, darf nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern sollte freundlich anklopfen.  Das nennt man Feldforschung. Viel unterwegs gewesen ist Klaus. Auf Bauernhöfen und Viehmärkten zum Beispiel. Da wo die Geheimsprache der Viehhändler eben zuhause ist. Dort lernt man viel über Sprache und noch mehr über Menschen. Zu den Ergebnissen dieser oft mühsamen Recherchearbeit zählt auch ein Verlag, der „ Geheimsprachen Verlag“ und das 1.500 Seiten starke „Wörterbuch deutscher Geheimsprachen“, das im nächsten Jahr erscheint – ein Stück Lebenswerk von Zeitgenossen, Studenten und Klaus.

Zusammengefasst werden die Geheimsprachen oft als Rotwelsch. Seit dem späten Mittelalter ist dies vor allem die Sprache der Bettler und des fahrenden Volkes. Rotwelsch wird als „betrügerische Rede“ oder auch unverständliche Sprache gedeutet, was wir heute eher als „Kauderwelsch“ kennen.

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